Abschied von der Insel - Kommunaler Dienstleister reformiert sein Softwaresystem
Der Eigenbetrieb Abfallwirtschaft und Stadtreinigung Darmstadt (EAD) deckt mit einer SAP-Branchenlösung alle Geschäftsprozesse im kommunalen und gewerblichen Geschäft ab und erzielt mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit. Dank des zentralen Zugriffs auf sämtliche kundennahen Daten hat sich die Servicequalität im neu strukturierten Kundencenter beachtlich gesteigert.
30.03.2006 Wenn der Duft von Zuckerwatte, gebrannten Mandeln und heißen Würstchen rund um das Darmstädter Schloss weht und sich die Fahrgeschäfte vor die historischen Fassaden schieben, dann ist wieder Heinerfest im Herzen der hessischen Stadt. Für die gute Stimmung sorgen die feiernden Besucher. Für die Abfallentsorgung und Stadtreinigung ist der städtische Betrieb EAD zuständig.
Bis 2001 glich die IT-Infrastruktur des Unternehmens dem Modell vieler kommunaler Entsorgungsbetriebe. "Es gab die klassische Aufteilung", berichtet Projektleiter Frank Siemund. "Die einzelnen Fachbereiche wie Abfallentsorgung, Tourenplanung, Kfz-Werkstatt oder Finanzbuchhaltung arbeiteten mit Insellösungen. Das Gebietsrechenzentrum verarbeitete die Daten des Kassen- und Steueramts zur Gebührenabrechnung und die Daten des EAD zur Personalabrechnung."
Übergreifendes Arbeiten oder die Gewinnung von qualifizierten Kennzahlen zur Unternehmenssteuerung gestalteten sich oftmals sehr zeitintensiv. "Unsere Handlungsspielräume, um auf veränderte Rahmenbedingungen schnell reagieren zu können, waren begrenzt", blickt der Projektleiter zurück. Die Betriebsleitung und das Management-Team des Betriebes erkannten schnell, dass diese Organisationsform, die in der Vergangenheit gut funktioniert hatte, in Zeiten wachsender Anforderungen dauerhaft nicht wettbewerbsfähig sein konnte.
Warum hat sich der EAD für die SAP-Branchenlösung entschieden? Aufgrund der Einstellung der Wartung von Altsystemen anderer Hersteller, hatte der Entsorger in den Jahren 2002 und 2003 die Core Module FI/CO/MM/PM/HR eingeführt. Somit war die Basis für SAP gelegt, die aber das Ziel Branchenlösung im Auge hatte.
Der EAD verfolgte dann das strategische Ziel, alle Kompetenzen, die den Eigenbetrieb betreffen, in das Unternehmen zu verlagern, und somit weitergehende Kompetenz in der Beziehung zum Bürger beziehungsweise Kunden zu schaffen.
Im Jahr 2004 galt es, eine bislang einmalige organisatorische Herausforderung zu meistern. Die Verlagerung der Festsetzung, des Zahlungsverkehrs und der Mahnungen für Abfall- und Straßenreinigungsgebühren vom Steuer- und Kassenamt der Stadt in den EAD verlangte schnelles und präzises Handeln. Alle abrechnungsrelevanten technischen und kaufmännischen Daten der insgesamt 36.000 Vertragskonten mit rund 70.000 Behältern und 12.000 Flächen mussten in einem einzigen IT-System zusammengeführt und verwaltet werden. "Uns war klar, dass wir für diese Aufgabe ein integriertes System benötigen, mit dem wir gleichzeitig die Kernprozesse umfassend optimieren und verschlanken können. SAP Waste and Recycling bot uns dafür die besten Voraussetzungen", so Siemund.
Die Beratungsunternehmen Carpe Dies Consulting GmbH und Prologa GmbH begleiteten die Implementierung, die im Juli 2004 begann und zügig vorangetrieben wurde. Das Projektteam unter der Leitung von Frank Siemund entschied sich für eine Zwei-Phasen-Einführung:
Gebührenabrechnung, Kommunale Logistik und Kundencenter bis Ende 2004
Gewerbliche Prozesse, Tourenplanung und Business Warehouse bis Ende 2005.
Oberstes Ziel war die termingerechte Sollstellung der Gebühren zum 1. Januar 2005, die Aussendung der Bescheide und die ordnungsgemäße Zuordnung und Verbuchung der Zahlungseingänge. "Das hat hervorragend geklappt, obwohl viele Branchen-Insider nicht geglaubt haben, dass wir es in der kurzen Zeit schaffen würden", berichtet der Projektleiter. Zwischen Projektbeginn und Produktivstart lagen Konzeptionierung, Customizing, Datenabgleiche sowie die Datenmigration von den Subsystemen der Stadt und des EAD. Bei der Umsetzung der branchenspezifischen Anforderungen kam der SAP-Entwicklung sowie dem Entwicklungspartner Prologa und damit der gesamten SAP-Waste-and-Recycling-Lösung die konstruktive Zusammenarbeit mit dem Projektteam zugute. Dies zeigte sich besonders deutlich bei der Ausgestaltung der Tourenplanung, eines Bausteins der SAP-Waste-and-Recycling-Solution-Map des SAP-Partners Prologa.
Aufgrund der strategischen Herangehensweise und des vorhandenen Know-hows wurden viele Anregungen aus der Praxis des Entsorgers berücksichtigt, Funktionen neu kreiert und in den künftigen Standardfunktionsumfang aufgenommen. Dieser wurde auf der Technologieplattform, SAP NetWeaver, realisiert.
"Wir haben gemeinsam kunden- und lösungsorientierte Ansätze geschaffen, die den operativen Bereich in seiner Vielfältigkeit und Komplexität abbilden. Beispielsweise werden Ergebnisse von fertigen Planungsszenarien in die Servicerhythmen der Behälter geschrieben und stehen der Disposition sofort zur Verfügung", erklärt Rainer Gückel, Sachgebietsleiter Abfallentsorgung und Teilprojektleiter Logistik und Migration beim EAD. Auch Fahrer würden durch konsequente Farb- und Symbollogiken ihre Touren auf dem Bildschirm wieder erkennen. Die Anbindung der Kompostanlage über die Waage-Schnellerfassung liefere sofortige Daten für Mengenstrom, Abrechnung und Controlling. "Der Kunde bekommt direkt aus dem System seine Abfallbilanz", so Gückel.
Mit der Einführung von SAP Waste and Recycling stellt der EAD die informationstechnischen Weichen für eine wettbewerbsfähige Zukunft neu und profitiert von maßgeschneiderten Prozessen. Wo früher in den einzelnen Fachabteilungen mit Excel-Sheets gearbeitet oder Bestellungen, Lieferscheine und Rechnungen mehrfach manuell bearbeitet werden mussten, greifen nunmehr gestraffte Prozessketten und durchgängige Informationsflüsse. Sämtliche Stammdaten werden nur einmal im System angelegt und zentral für alle beteiligten Mitarbeiter vorgehalten. Transaktionszeiten und -kosten haben sich deutlich reduziert.
Herzstück der neuen SAP-Lösung ist das Kundencenter. Im Fokus stehen die branchenspezifischen Vertriebs- und Serviceprozesse mit einer weit reichenden Integration in die Abrechnungssysteme. Hier laufen die Fäden zusammen, wenn es darum geht, Kundenanfragen zu Stammdaten, Servicerhythmen, Aufträgen, Gebührenbescheiden, Rechnungen, Mahnungen und Zahlungen zu beantworten. Eine 0180-3-Service-Rufnummer führt den Anrufer schnell zu seinem gewünschten Ansprechpartner. Die Mitarbeiter greifen von einem zentralen Einstiegspunkt auf sämtliche kundenrelevanten Daten zu. Vereinfachte Arbeitsabläufe und strukturierte Prozesse sollen zu einer optimalen Kundenbetreuung beitragen.
Die rund 8.000 Änderungsbescheide und Behälterwechsel pro Jahr lassen sich beispielsweise auf direktem Weg erledigen. Der Kunde muss nicht bei verschiedenen Stellen innerhalb des EAD anrufen und für die Mitarbeiter entfällt das lästige Hin- und Herwechseln zwischen verschiedenen Systemen.
Die Bürger Darmstadts haben die Reformen sehr positiv aufgenommen. Im Zuge der Neuausrichtung wurde auch das Formular für die Gebührenabrechnung überarbeitet und alle Positionen verständlich dargestellt. Das positive Feedback von Kunden belegt: Die neue Transparenz hat dem EAD weitere Vorteile in der Kommunikation mit den Bürgern eingebracht.
Nach dem erfolgreichen Produktivstart der SAP-Lösung kann der EAD weitere Projekte angehen. Ein Dokumentenmanagementsystem soll ebenso eingebunden werden wie das Geographische Informationssystem (GIS) der Stadt Darmstadt.
Und was würde der Betrieb beim nächsten Mal anders machen? Dazu Frank Siemund: "Eine Einführung innerhalb von fünf Monaten für Kommunale Logistik und Gebührenabrechnung mit Migration ist machbar, wie wir bewiesen haben, aber zwei Monate mehr hätten gut getan." Gewisse Nacharbeiten im Produktivsystem wären somit vermeidbar gewesen. Auch müssten die Projektleitungen bei diesen komplexen Projekten frei sein von der Durchführung "normaler" Projektarbeiten wie Systemeinstellungen.
Übrigens findet das traditionelle Heinerfest in diesem Jahr vom 29. Juni bis zum 3. Juli statt. Dann herrscht wieder fünf Tage Ausnahmezustand in der Wissenschaftsstadt Darmstadt. Auch für den EAD? "Naa. Mir sinn wie immer beschtens gerüstet", wäre wahrscheinlich die Original-Antwort der Hessen.
Unternehmen, Behörden + Verbände: EAD, SAP Waste and Recycling, SAP Deutschland AG & Co.KG/kc
Autorenhinweis: Michael Götzinger, SAP Waste and Recycling, SAP Deutschland AG & Co. KG/kc
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