23,07.2006 Unabhängige Untersuchungen lassen an der Selbstregulierungskraft der Wasserbranche auch in wasserwirtschaftlicher und gesundheitlicher Hinsicht zweifeln. Die Antwort des Gesetzgebers der Europäischen Union und in Deutschland auf diese offensichtlichen Widersprüche überzeugt wenig. So verdient etwa die Modernisierungsstrategie von Bundestag und Bundesregierung für die deutsche Wasserversorgung ihren Namen kaum. Deren Kernelement, ein Kennzahlenvergleich (Benchmarking), ist untauglich. Reformbedürftig, weil zersplittert und wenig wirksam, ist auch der derzeitige Rechtsrahmen für wirtschaftlichen Verbraucherschutz. Das zeigt insbesondere ein Blick auf das kommunale Wirtschaftsrecht, die Rechtsschutzmöglichkeiten Privater sowie die Tätigkeit der Kartellbehörden gegen hohe Wasserpreise.

Die deutsche Wasserversorgung bescheinigt sich regelmäßig selbst einen Spitzenplatz im Trink- und Abwasser in Europa. Das Kostendeckungsprinzip sei weitgehend Realität, die Wasserverluste seien minimiert. Im europäischen Vergleich lägen die Wasserpreise im Mittel. Wettbewerb finde bereits in ausreichendem Maße statt, indem Konzessionen und Dienstleistungsverträge ausgeschrieben würden. In die gleiche Richtung weist der neue Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD. Dort heißt es: "Die Kommunen sollen auch in Zukunft eigenständig über die Organisation der Wasserversorgung ... und der Abwasserentsorgung entscheiden können." Noch ein Jahr zuvor hatte die CDU unter anderem wegen erheblicher Rationalisierungspotentiale eine behördliche Regulierung gefordert. Den passenden Kommentar zum Koalitionsvertrag aus Sicht der kommunalen Wasserwirtschaft liefert der Verband kommunaler Unternehmen (VKU). Er sieht "erfreuliche Perspektiven in der Energie- und Wasserpolitik"; "besonders erfreut zeigt sich der VKU über das klare Bekenntnis ..., die Kommunen auch in Zukunft eigenständig über die Organisation der Wasserversorgung ... entscheiden zu lassen".

Diese Haltung überrascht, jedenfalls in sachlicher Hinsicht. In Expertenkreisen, in der Wissenschaft und auch auf Branchentagungen herrscht Einigkeit darüber, dass die Lieferung von Trinkwasser an Endkunden ein natürliches Monopol darstellt. Wettbewerb im Markt wird es also nicht geben. Immer mehr Experten weisen zudem darauf hin, dass auch Wettbewerb um den (Wasser-)Markt, etwa in Form des Ausschreibungswettbewerbes, nicht zur erwünschten Marktöffnung führen wird. In dieser Lage bedarf es wie bei jeder anderen Marktbeherrschung, etwa bei Telekom, Eisenbahn und Energie, einer effektiven Regulierung. Sowohl "politische Preise" weit unter der Kostendeckung als auch Preisspreizungen von 280 Prozent und mehr unter rund 270 Versorgern sind Indizien für einen dringenden Handlungsbedarf. Darauf wird von Kartellbehörden, Wirtschaftsverbänden und Medien immer wieder hingewiesen.

Das Selbstbild der Wasserversorgungswirtschaft wird darüber hinaus durch unabhängige Untersuchungen in Frage gestellt, die erheblichen Reformbedarf in wasserwirtschaftlicher und gesundheitlicher Hinsicht belegen. Dazu gehören zwei Studien des Hessischen Rechnungshofes, die die renommierte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Rödl & Partner GbR, Nürnberg, in den Jahren 2003 und 2005 mit beträchtlichem Aufwand durchführte. Der Prüfungszeitraum umfasste die Jahre 1992 bis 2001 beziehungsweise 1994 bis 2003.

In der Expertise aus dem Jahre 2005 bezeichnen die Prüfer "Maßnahmen zum Grundwasserschutz" bei neun von zehn geprüften Gemeinden als geboten. Regelmäßige Kontrolle der Qualität des Trinkwassers wird angeregt. Nur zwei Gemeinden nahmen lückenlos die notwendigen Wasseruntersuchungen vor. Der technische Zustand entsprach bei sechs der zehn Versorger nicht den Anforderungen an das Lebensmittel Trinkwasser. Die Wasserverluste betrugen bis zu 38 Prozent. Hohe technische Wasserverluste im Einzelfall belegt auch die - freiwillige - bayerische Benchmarking-Studie. Über die genannten Mängel hinaus gibt es auch im wasserwirtschaftlichen Bereich erhebliche Defizite.

Der Hessische Rechnungshof spricht von "Investitionsstau und Substanzverzehr". Kostendeckende Gebühren wurden nur in der Hälfte der untersuchten Gemeinden verlangt. In einem hessischen Musterprojekt stellten die aus freien Stücken teilnehmenden Versorger fest, dass "ein nicht unerheblicher Teil der Betriebe keine kostendeckenden Gebühren erhebt".

Der Deutsche Bundestag hat sich einer Modernisierung des Wassersektors verschrieben, die in bewusstem Gegensatz zu mehr Liberalisierung, Privatisierung und Regulierung steht. Das Vorhaben hat vier Bestandteile. Neben freiwilligen Kennzahlenvergleichen (Benchmarking), einer Steuerharmonisierung für Abwasser sowie mehr Kooperationen soll das so genannte Örtlichkeitsprinzip gelockert werden. Dieses verbietet Stadtwerken eine Betätigung außerhalb des Gebietes ihrer Sitzgemeinde. Diese Strategie verspricht wenig Erfolg. Ihr fehlen ein zeitlicher Rahmen sowie Messgrößen für die Zielerfüllung; wichtige Maßnahmen liegen außerhalb der Reichweite des Projektträgers. An letzterem krankt beispielsweise die Absicht, Stadtwerke durch Erweiterung ihres Wirkungskreises zu stärken. Die dafür beabsichtigte Einschränkung des Örtlichkeitsprinzips ist Ländersache. Diese wird, wenn überhaupt, mit einer deutlichen Verschärfung der Anforderungen an kommunale Wirtschaftstätigkeit im Übrigen verbunden. Das entwertet die beabsichtigte Verbesserung der Position der Kommunalwirtschaft stark. Die Steuerharmonisierung als weiterer Baustein der Modernisierungsstrategie ist - jedenfalls für diese Legislaturperiode - mit dem neuen Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom Tisch.

Was bleibt, ist das vierte Element der "Modernisierungsstrategie", nämlich der Kennzahlenvergleich, auch genannt Benchmarking. Davon wird Wettbewerb und Kundenschutz im Sinne niedrigerer Wasserpreise erwartet. Die wasserwirtschaftlichen Verbände bezeichnen freiwilliges Benchmarking als bewährtes Instrument zur Optimierung der ... wirtschaftlichen Leistung ... der Unternehmen. Gleichzeitig wird aber "Vertraulichkeit von Unternehmensdaten" verlangt. Das Informationsbedürfnis von Politik und Öffentlichkeit wird grundsätzlich begrüßt. Diese interessierten Kreise sollen freilich lediglich in Form eines aggregierten und anonymisierten "Branchenbildes" unterrichtet werden. Wettbewerb ohne hinreichende Informationen ist bereits ein Widerspruch in sich. Kostenminderungsdruck kann bei fehlendem Wettbewerb und nicht existierender Regulierung wie in der Wasserversorgung nur dadurch entstehen, dass sachkundige Entscheider die Wahl zwischen Alternativen haben. Das könnten nur Kommunalparlamentarier oder deren gewählte Vertreter in den Aufsichtsräten der Wasserversorgungsunternehmen sein. Wer sich einmal die Entscheidungsprozesse in den Kommunen ansieht, wird bestätigen können, dass diese Qualitätsanforderungen eher selten erfüllt werden. Dazu passt, dass bisher niemand den Preissenkungseffekt dieser Art des freiwilligen Benchmarkings einzuschätzen vermag. Eine Breitenwirkung würde zudem verlangen, dass es in einer Vielzahl von Fällen zu Benchmarking-Untersuchungen käme, was derzeit nicht wahrscheinlich ist. Man müsste weiter unterstellen, dass die Versorger daraus Effizienzgewinne zögen und ihre Kosten reduzieren würden. Diese Wirkung mag in dem einen oder anderen Fall entstehen, wenn sich eine passende kommunalpolitische Konstellation einstellt und die soeben geschilderten strukturellen Erfordernisse erfüllt sind. Daraus entstünde allenfalls eine Erhöhung des Gewinnes. Der dürfte entweder für eine (ggf. erhöhte) Konzessionsabgabe genutzt oder direkt an die Eigentümer ausgeschüttet werden.

Dies dient den Anteilsinhabern, in der Regel also den Kommunen. Sie würden dadurch ihre massiven Defizite verringern. Am unwahrscheinlichsten ist, dass eine solche "Effizienzdividende" beim Kunden in Form von niedrigeren Wasserpreisen ankäme. Das Ergebnis einer umfassenden und international angelegten Vergleichsstudie stützt die Skepsis. Im Hinblick auf das sich immer mehr zum Modell entwickelnde bayerische Benchmarking-Projekt (EffWB) findet sich etwa die Aussage, es verharre zumeist auf der Ebene der Selbstbestätigung. Benchmarking-Untersuchungen seien weit von einer Flächendeckung entfernt; die erreichbaren Regulierungsziele des freiwilligen Benchmarking deutscher Prägung könnten nur als vergleichsweise beschränkt bezeichnet werden. Das sieht auch der Wirtschaftsrat der CDU so, ohne allerdings bisher Taten folgen zu lassen. Zum selben Resultat führt eine Analyse eines deutschen Verbundes aus fünf Forschungsinstituten. Die Autoren betonen, dass die Rückkopplung von Informationen und deren offener Austausch elementare Voraussetzung einer funktionierenden Benchmarking-Strategie seien. Dies werde in Deutschland vernachlässigt.

Als vorläufiges Fazit bleibt, dass die deutsche Form des Benchmarking in der Wasserwirtschaft Züge einer Scheinveranstaltung trägt. Es soll der Eindruck von Aktivitäten ohne grundlegende Verbesserungen erzeugt werden. Eine Modernisierungsstrategie, die diesen Namen verdient, gibt es folglich nicht. Diese Ergebnisse nähren starke Zweifel am Reformwillen sowohl auf der europäischen als auch auf der deutschen Bühne. Daher bietet zurzeit nur ein konsequentes Vorgehen der Kartellbehörden, das in Hessen erfolgreich praktiziert wird, einige Aussicht auf Veränderung.
Unternehmen, Behörden + Verbände: Verband kommunaler Unternehmen (VKU), Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Rödl&Partner GbR, Hessische Landeskartellbehörde für Energie und Wasser, Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung Wiesbaden
Autorenhinweis: RD Hermann Daiber Hessische Landeskartellbehörde für Energie und Wasser, Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung, Wiesbaden