Editorial: Die Leviten gelesen

Die deutsche Abfallwirtschaft muss sich noch beträchtlich wandeln, will sie beim Gelingen der Energie-Wende von Nutzen sein: Sie muss effektiver recyceln, aus Abfällen gewonnene Energie flexibler bereitstellen und ihren Umgang mit Biomassen optimieren.

Foto: privat(28.03.2014) Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Freiburger Öko-Instituts, die im Auftrag des Bundesverbandes der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft e. V. (BDE) erstellt wurde. Deutlicher kann die Kritik eigentlich kaum ausfallen. Wenn man die Pläne der Bundesregierung ernst nimmt, dann wird im Jahr 2050 die Nachfrage nach Strom in Deutschland um ein Viertel niedriger sein als 2008. Und: Der Strom wird zunehmend dezentral produziert werden, ob es den vier Platzhirschen der Energieversorgung gefällt oder nicht. Jeder, der sich halbwegs intensiv mit der künftigen Energieversorgung auseinander setzt, wird zum gleichen Schluss kommen. Und das bedeutet, dass die Stromerzeugung bis 2050 weitgehend von heute noch vorhandenen konventionellen Grundlast-Kraftwerken – vor allem Kernenergie und Kohle – auf überwiegend erneuerbare und vor allem fluktuierende Energieträger wie Wind und Sonne umgestellt wird. Dann ist Flexibilität gefragt, um rasch auf Wind und Wetter reagieren zu können. Fossil befeuerte Kraftwerke werden zunehmend Backup-Funktionen übernehmen müssen, wofür sie auch entsprechend zu entlohnen sind. Doch diese Flexibilität können laut der Studie weder die heutigen Biomasse-Kraftwerke noch konventionelle MVA bieten. Und dies vor allem aus dem Grund, dass wir 2040/2050 in Deutschland nur noch einen Bedarf von vielleicht zehn MVA haben werden – heute sind es noch 71, wie der BDE errechnet hat. Gebraucht werden Verbrennungskapazitäten von vielleicht fünf, vielleicht auch nur noch zwei Millionen Jahrestonnen. Ob die Einschnitte für die Müllverbrenner tatsächlich so gravierend sein werden, weiß niemand so genau. Auch im außereuropäischen Ausland wird die Deponierung zunehmend und mit Recht erschwert. So manche deutsche MVA deckt ihre Überkapazität mit Müll aus England, Polen oder aus Italien, auch wenn man darüber nicht gerne offen spricht. Aber der grundsätzliche Trend ist nicht weg zu diskutieren. Der echte Müll wird weniger, das zu rezyklierende Material wird mehr und Ersatzbrennstoffe werden weiter an Attraktivität gewinnen. Der EBS-Markt, so errechneten die Freiburger, wird sich in den kommenden 15 Jahren auf über acht Millionen Jahrestonnen verdoppeln. Und zwei weitere Trends betreffen die Entsorgungswirtschaft. Die flächendeckende Einführung der Biotonne wird einen wichtigen Impuls für die Entsorgungs- und die Energiewirtschaft bringen, vor allem, wenn man endlich die so genannte Kaskaden-Nutzung verwirklicht. Überhaupt sind die Potentiale, die in Biomasse jeder Art schlummern, bei weitem noch nicht ausgenutzt, wie beispielsweise die Verfahren der Hydrothermalen Carbonisierung (HTC) erahnen lassen. Und dann muss endlich eine effektive Sammlung der Elektrokleingeräte her. Wie wir in unserer Titelgeschichte zum Thema Metallrecycling darlegen, liegt der Ball hier beim Gesetzgeber: Was nützt es, wenn ausgefeilte Extraktionsverfahren zwar mehr als 95 Prozent des Goldanteils aus dem aufbereiteten Elektroschrott gewinnen, aber nur 30 Prozent des Altmaterials überhaupt erfasst wird und davon die Hälfte beim Sortieren, Zerlegen und Aufbereiten verloren geht? Dann bleiben halt nur knapp 15 Prozent des Goldes übrig. In Hinterhof-Recyclingbetrieben von Mumbai, Accra oder Shenzhen mag die Ausbeute noch viel schlechter sein. Das ist aber nur ein schwacher Trost. Und in jedem Falle ist es verschenktes Gold.

Autorenhinweis: Martin Boeckh
Foto: privat



Copyright: © Deutscher Fachverlag (DFV)
Quelle: März 2014 (März 2014)
Seiten: 1
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Autor: Martin Boeckh

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