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Blaue Plakette: unverzichtbarer Schritt hin zu einer nachhaltigen MobilitĂ€t â offener Brief an Bundesumweltministerin Dr. Hendricks, Bundesverkehrsminister Dobrindt und an die Verkehrsministerinnen und Verkehrsminister der LĂ€nder
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit Sorge haben wir zur Kenntnis genommen, dass sich die EinfĂŒhrung der blauen Plakette fĂŒr Pkw zur Minderung der Stickstoffoxidemissionen verzögert.
Die Feinstaub- und Stickstoffoxidbelastung der Atemluft in den StĂ€dten gehört zu den drĂ€ngenden Herausforderungen im umweltbezogenen Gesundheitsschutz. Besonders problematisch bleiben die hohen Stickstoffdioxidkonzentrationen in den StĂ€dten. So wurde auch im Jahr 2015 der Jahresgrenzwert der EU-LuftqualitĂ€tsrichtlinie 2008/50/EG zum Schutz der menschlichen Gesundheit von 40 ÎŒg/mÂł Stickstoffdioxid an deutlich mehr als der HĂ€lfte (ca. 60 %) der verkehrsnahen Messstationen ĂŒberschritten(Umweltbundeamt 2016: âStickstoffdioxid (NO2) im Jahr 2015â). Konsequenz ist unter anderem ein drohendes Vertragsverletzungsverfahren wegen unzureichender Umsetzung der EU-LuftqualitĂ€tsrichtlinie.
Hohe Stickstoffkonzentrationen stellen bekanntermaĂen eine besondere Gesundheitsbelastung fĂŒr empfindliche Bevölkerungsgruppen wie Kinder oder Personen mit Atemwegserkrankungen dar. FĂŒr das Jahr 2012 berechnete beispielsweise die EuropĂ€ische Umweltagentur (EEA) insgesamt 10.400 vorzeitige TodesfĂ€lle in Deutschland, die auf Stickstoffdioxid zurĂŒckzufĂŒhren sind (EEA 2015: Air quality in Europe â 2015 report).
Obwohl Kommunen und StĂ€dte seit spĂ€testens 2010 im Falle von GrenzwertĂŒberschreitungen verpflichtet sind, LuftreinhalteplĂ€ne aufzustellen und somit aktuell MaĂnahmen zur Minderung der Stickstoffoxidkonzentrationen zu ergreifen, ist keine maĂgebliche Entlastung zu beobachten. Auch fĂŒr die nahe Zukunft ist diese nicht erkennbar. GrĂŒnde dafĂŒr sind unter anderem die Zunahme von Diesel-Pkw, die deutlich mehr Stickstoffoxide emittieren als benzinbetriebene Fahrzeuge. Hinzu kommen die erheblichen Abweichungen in den Stickstoffoxidemissionen von Dieselfahrzeugen im realen Fahrbetrieb im Vergleich zu PrĂŒfstandsmessungen.
Die Umweltzone ist die EinzelmaĂnahme, die bisher am stĂ€rksten dazu beitragen konnte, sowohl die Feinstaub- als auch die Stickstoffoxidbelastungen durch den Verkehr zu mindern. Sie sorgte dafĂŒr, Fahrzeuge mit besonders hohen Feinstaubemissionen bzw. Ă€ltere Dieselfahrzeuge aus dem innerstĂ€dtischen Bereich zu verdrĂ€ngen (SRU Umweltgutachten 2012, Tz. 335). Da inzwischen in fast allen der 54 bestehenden Umweltzonen nur noch das Einfahren mit grĂŒner Plakette gestattet ist, sind weitere Fortschritte durch dieses Instrument aber kaum noch zu erwarten.
Der SRU hat zuletzt im Januar 2015 in seinem Sondergutachten âStickstoff: Lösungsstrategien fĂŒr ein drĂ€ngendes Umweltproblemâ eine Weiterentwicklung der Umweltzone in Richtung einer Minderung der Stickstoffoxidbelastung empfohlen. Aus diesem Grund begrĂŒĂt der SRU es ausdrĂŒcklich, dass sich die Umweltministerkonferenz auf ihrer Sitzung am 7. April 2016 fĂŒr die EinfĂŒhrung einer blauen Plakette ausgesprochen hat, mit der Fahrzeuge mit geringen Stickstoffoxidemissionen gekennzeichnet werden sollen. Dies ist eine wichtige MaĂnahme, um die StĂ€dte und Kommunen dabei zu unterstĂŒtzen, die Stickstoffdioxidbelastungen zu mindern. Allerdings ist eine blaue Plakette nur dann wirkungsvoll, wenn ausschlieĂlich solche Fahrzeuge diese erhalten, die sehr geringe Stickstoffoxidemissionen im realen Fahrbetrieb aufweisen.
Die blaue Plakette kann einen Einstieg in die dringend erforderliche Verkehrswende darstellen. Die gegenwĂ€rtige Belastungssituation ist auch ein Ergebnis einer jahrelangen etablierten Verkehrspolitik, die es verpasst hat, rechtzeitig die richtigen Signale zu senden. Dazu gehört zum Beispiel, dass Dieselfahrzeuge ĂŒber einen begĂŒnstigten Steuersatz auf Dieselkraftstoff gefördert wurden, obwohl ihre schĂ€digenden Gesundheitswirkungen schon lĂ€nger bekannt waren. Deshalb darf die Last fĂŒr dieses Umsteuern nicht alleine den BĂŒrgern aufgebĂŒrdet werden. Es sollten flankierende MaĂnahmen zur Abfederung der Belastung betroffener BĂŒrger ernsthaft erwogen werden. Beispielsweise muss der Umstieg auf den Umweltverbund (ĂPNV, Fahrrad- und FuĂverkehr) attraktiver werden. Mittelfristig fĂŒhrt kein Weg daran vorbei, aus der Dieseltechnologie auszusteigen.
Langfristig wird es erforderlich sein, die MobilitĂ€t in den BallungsrĂ€umen neu zu gestalten. Die gegenwĂ€rtige Fokussierung auf den Autoverkehr fĂŒhrt zu erheblichen Belastungen, zu denen neben ungleich verteilten Luftschadstoff- und LĂ€rmemissionen auch VerkehrsunfĂ€lle, die EinschrĂ€nkung von LebensrĂ€umen sowie die Ăberlastung der baulichen Infrastruktur gehören. Neben Klimaschutzaspekten dient die Verkehrswende deshalb dazu, die LebensqualitĂ€t in den StĂ€dten insgesamt zu verbessern. HierfĂŒr ist eine Vielzahl von MaĂnahmen auf verschiedenen Ebenen, beispielsweise eine integrierte Verkehrsentwicklungsplanung der Kommunen, erforderlich.
Aus diesem Grund bitten wir Sie darum, sich im Rahmen der bevorstehenden Verkehrsministerkonferenz dafĂŒr einzusetzen, dass die rechtlichen Grundlagen fĂŒr die Fortschreibung der Umweltzonen in Richtung einer Minderung der Stickstoffoxidimmissionen noch vor der nĂ€chsten Bundestagswahl geschaffen werden.
Mit freundlichen GrĂŒĂen
gez. Claudia Hornberg
Copyright: | © SRU - SachverstĂ€ndigenrat fĂŒr Umweltfragen (04.10.2016) | |