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Der SRU beobachtet mit großer Sorge, dass sich – trotz einer in manchen Bereichen sehr aktiven Umweltpolitik – viele negative Umweltentwicklungen ungebrochen fortsetzen. Dies gilt nicht nur für den Klimawandel, dessen bedrohliche Folgen für Deutschland und die Welt sich bereits abzeichnen, sondern auch für den Verlust von Biodiversität. Insgesamt ist eine schleichende Degradation unserer natürlichen Lebensgrundlagen zu beobachten. Die Politik trägt die Verantwortung, große Zukunftsherausforderungen zu thematisieren und anzugehen. Daher möchte der SRU auf einige besonders drängende Themen hin¬weisen und Empfehlungen für die anstehenden Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen geben.
1. Umweltpolitikinstitutionell stärken
Umweltwirkungenwerden in politischen Entscheidungen häufig nicht oder nur unzureichendberücksichtigt. Dies betrifft insbesondere umweltrelevante Entscheidungenanderer Ressorts. Im Interesse einer besseren Integration von nachhaltigerEntwicklung spricht sich der SRU dafür aus, im Koalitionsvertrag einInitiativrecht für das Umweltressort festzuschreiben und die Kompetenzen desMinisteriums zu einem suspensiven Vetorecht weiterzuentwickeln.
2. NachhaltigeDigitalisierung fördern
DerSRU sieht bei der Digitalisierung große Risiken, aber auch große Chancen fürden Umweltschutz. Im Rahmen der Digitalen Agenda wird bisher zu wenigbetrachtet, wie das ökologische Potenzial von Digitalisierungsprozessen gehobenwerden kann. In der kommenden Legislaturperiode sollte dasBundesumweltministerium bei der Fortentwicklung der Digitalen Agenda dahereine zentrale Rolle spielen. In dieser sollte ein Handlungsfeld„Umweltauswirkungen der Digitalisierung“ definiert werden, welches dieRahmenbedingungen einer nachhaltigen Digitalisierung untersucht.
3. Steuern undAbgaben reformieren, umweltschädliche Subventionen abbauen
DasSystem der umwelt- und energiebezogenen Steuern und Abgaben ist dringendreformbedürftig. Der neue Bundestag sollte eine verfassungsrechtliche Grundlagefür die Erhebung von Umweltsteuern schaffen, damit ökonomische Anreize fürökologisches Wirtschaften gestärkt werden können. Hemmnisse für den Einsatz vonStrom in den Sektoren Verkehr, Industrie und Gebäude sollten abgebaut werden. Zudemsollte die Nutzung erneuerbarer Wärme stärker gefördert werden. Der Abbauumweltschädlicher Subventionen sollte ein zentrales Ziel der kommendenLegislaturperiode sein. Insbesondere sollte die Bundesregierung unverzüglichdie steuerliche Privilegierung des Dieselkraftstoffs beenden und dieVerzerrungen zugunsten fossiler Kraftstoffe abschaffen.
4. Kohleausstiegunverzüglich einleiten
DasZiel der Bundesregierung, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 % gegenüber1990 zu reduzieren, droht verfehlt zu werden. Die neue Bundesregierung sollteunverzüglich Maßnahmen ergreifen, um dieses Ziel noch zu erreichen. Dieältesten und CO2-ineffizientesten Kohlekraftwerke solltenkurzfristig stillgelegt werden. Gleichzeitig müssen aber auch die Klimaschutzmaßnahmenbis 2030 konkretisiert werden. Die neue Koalition sollte festlegen, wie viel CO2alle bestehenden Kohlekraftwerke über ihren gesamten Lebenszyklus nochemittieren dürfen. Dieses Budget sollte aus Sicht des SRU 2.000 Mt CO2nicht überschreiten. Die Dekarbonisierung des Stromsektors sollte dabei durcheinen europäischen (alternativ auch einen nationalen) CO2-Mindestpreissinnvoll unterstützt werden.
5. Elektroquotefür Pkw, streckenabhängige Maut und blaue Plakette einführen
Esist bislang nicht gelungen, die Treibhausgasemissionen des Verkehrssektorsgegenüber 1990 zu senken. Um Klimaschutz, Gesundheit und Lebensqualität zuverbessern, sollte die neue Bundesregierung unverzüglich eine Verkehrswendeeinleiten. Hierfür ist es von zentraler Bedeutung, so schnell wie möglich aufElektromobilität umzustellen. Eine verbindliche Quote für den Anteil vonFahrzeugen mit elektrischem Antrieb bei den Pkw-Neuzulassungen würde für dienotwendige Richtungs- und Planungssicherheit sorgen. Es wird empfohlen, diePkw- und Lkw-Maut zu einem streckenabhängigen, nach ökologischen Kriteriendifferenzierten, flächendeckenden Mautsystem unter Einbezug allerFahrzeugklassen weiterzuentwickeln. Der Einsatz von Fahrzeugen mit besondershohen gesundheitsschädlichen Emissionen, insbesondere Dieselfahrzeugen, solltedurch die Einführung der blauen Plakette in belasteten städtischen Gebietenbegrenzt werden.
6. Lärmschutzintensivieren
Lärm durch Straßen-, Schienen- undFlugverkehr bleibt eine zentrale Herausforderung des gesundheitsbezogenenUmweltschutzes. Um den Verkehrslärm zu reduzieren, müssen überall dort, wo dieLärmschwellen überschritten werden (Einflussgebiete von Großflughäfen,Ballungsräume sowie stark befahrene Straßen und Bahnlinien), endlich – wie inder EU-Umgebungslärmrichtlinie vorgegeben – wirksame Lärmaktionspläneaufgestellt und umgesetzt werden. Zu erwartender Fluglärm sollte bereits beider Flughafenplanung deutlich stärkere Berücksichtigung finden. WichtigeInstrumente hierfür sind eine gesamtstaatliche Bedarfsplanung für denFlughafenausbau, eine bessere Verzahnung von Planfeststellung undFlugroutensetzung, die Schaffung von Lärmgrenzwerten sowie eine verpflichtendeUVP und stärkere Beteiligung der Bevölkerung bei der Festlegung von Flugrouten.
7. IntegriertesKonzept für eine sozialverträgliche energetische Sanierung von Gebäudenerarbeiten
Trotzerheblicher Fördermittel bleibt die Sanierungsrate im Gebäudesektor gering,Potenziale zur Treibhausgasminderung werden nicht gehoben. Wo saniert wird,werden weniger zahlungskräftige Mieterinnen und Mieter oft durch Mieterhöhungenverdrängt. Gleichzeitig ist gerade in Ballungsräumen bezahlbarer Wohnraumknapp. Die neue Bundesregierung sollte ein integriertes Konzept erarbeiten.Dieses sollte zum einen den Klimaschutz im Gebäudebestand gezielt dort fördern.Zum anderen sollte dabei sichergestellt werden, dass auch wenigerzahlungskräftige Mieterinnen und Mieter von energetischen Sanierungenprofitieren und in ihren Wohnungen verbleiben können. Dazu ist eine stärkereVerzahnung von Förderpolitik, Mietrecht und Sozialpolitik notwendig.
8. Sicherungurbaner Lebensqualität: Bauen und Stadtentwicklung ökologisch und sozialausgestalten
DieSchaffung von Wohnraum sollte in ökologisch verträglicher Weise erfolgen. DieBundesregierung sollte städtische Potenziale der Nachhaltigkeit undKlimaanpassung deutlicher als bisher adressieren. Um zur Ressourcenschonungbeizutragen, ist es notwendig, abfallminimiertes Bauen und hochwertige Verwertungvon Baustoffen zu etablieren. Zudem sollte die Städtebauförderungqualitätsvolle öffentliche Räume für alle Bewohnerinnen und Bewohner erhaltenund schaffen. Darüber hinaus sollten Umweltgerechtigkeit, Gesundheitsschutz,Luftreinhaltung in der Stadtentwicklung adressiert und Mehrfachbelastungensowie Wechselwirkungen zwischen gesundheitsbestimmenden Faktoren adäquatberücksichtigt werden.
9. Flächenverbrauch weiter senken
DasZiel, die tägliche Neuinanspruchnahme von Flächen für Siedlung und Verkehr bis2020 auf 30 Hektar zu begrenzen, wird voraussichtlich verfehlt. Um den Flächenverbrauchnachhaltig zu senken, sollte der Bund in der nächsten Legislaturperiode einenbundesweiten Flächenhandel und eine länderübergreifende Strategie für Flächeneffizienzanstoßen. Zudem sollte das Ziel für 2030 konkretisiert werden (bislang: „30Hektar minus x“). Bereits jetzt zeichnen sich in einigen RegionenÜberkapazitäten im Wohnungsbau ab. Um das Flächenreduktionsziel zuunterstützen, sollte der neue, gegen das Votum des Bundesrates und derPlanspielkommunen eingeführte § 13b der BauGB-Novelle 2017 zurückgenommenwerden.
10. GAP reformieren,EU-Naturschutzfinanzierung stärken
Dieanstehende Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) sollte endlich dazugenutzt werden, das nicht mehr zeitgemäße System der Direktzahlungen neu zugestalten. Öffentliche Gelder sollten zukünftig nur noch für dieBereitstellung, den Schutz und die Pflege öffentlicher Güter in den BereichenUmwelt-, Natur- und Klimaschutz eingesetzt werden. Gleichzeitig sollte dieFinanzierung von Naturschutzmaßnahmen auf europäischer Ebene in einemeigenständigen, finanziell angemessen ausgestatteten und explizit aufNaturschutzbelange ausgerichteten europäischen Naturschutzfonds gebündelt werden.
11. Aktionsprogramm zurMinderung der Stickstoffemissionen aufsetzen
DieBundesregierung hat im Mai 2017 in ihrem Stickstoffbericht festgestellt, dassdie zu hohen Stickstoffeinträge in Luft, Wasser und Boden zu Umwelt- undGesundheitsbelastungen führen. Im Bericht werden auch politischeLösungsansätze aufgezeigt, es fehlt aber das Bekenntnis zu konkreten Maßnahmen.Dringend notwendig ist daher ein Aktionsprogramm zur Minderung derStickstoffemissionen, in dem verbindlich Reduktionsziele und Maßnahmenfestgeschrieben werden. Das neu gefasste Düngerecht muss frühzeitighinsichtlich seiner Umweltwirkung evaluiert und gegebenenfalls nachgebessertwerden.
12. Meeresschutz verbessern
Deutschlandhat 32 % der Fläche seiner ausschließlichen Wirtschaftszone als Natura2000-Gebiete ausgewiesen, was im europäischen Vergleich vorbildlich ist.Effektiver Meeresschutz setzt jedoch voraus, dass diese Gebiete auch mitwirksamen Maßnahmen unterlegt werden. Deshalb sollten umgehendBewirtschaftungspläne erarbeitet werden. Erforderlich ist unter anderem einwirksames Fischereimanagement, um zum Beispiel Konflikte zwischen derStellnetz- und Grundschleppnetzfischerei auf der einen und dem Schutz vonSchweinswalen und artenreichen Riffen auf der anderen Seite zu unterbinden.
Sachverständigenratfür Umweltfragen (SRU)
Der SRUberät die Bundesregierung seit 45 Jahren in Fragen der Umweltpolitik. DieZusammensetzung des Rates aus sieben Professorinnen und Professorenverschiedener Fachdisziplinen gewährleistet eine wissenschaftlich unabhängigeund umfassende Begutachtung, sowohl aus naturwissenschaftlich-technischer alsauch aus ökonomischer, rechtlicher und gesundheitswissenschaftlicherPerspektive.
Der Ratbesteht derzeit aus folgenden Mitgliedern:
Prof. Dr.Claudia Hornberg (Vorsitzende), Universität Bielefeld
Prof. Dr.Manfred Niekisch (stellv. Vorsitzender), Goethe-Universität und ZoologischerGarten Frankfurt
Prof. Dr. Christian Calliess, Freie Universität Berlin
Prof. Dr.Claudia Kemfert, Hertie School of Governance und Deutsches Institut fürWirtschaftsforschung
Prof. Dr.Wolfgang Lucht, Humboldt-Universität zu Berlin und Potsdam-Institut fürKlimafolgenforschung
Prof.Dr.-Ing. Lamia Messari-Becker, Universität Siegen
Prof.Dr.-Ing. Vera Susanne Rotter, Technische Universität Berlin
Geschäftsstelle
Dr.Julia Hertin | julia.hertin@umweltrat.de
Tel.: +49 30 263696-118
Luisenstraße 46 | 10117 Berlin
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