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Sprit aus Abfall? Ist machbar. Doch Biomüll in Treibstoffe umzuwandeln, ist bisher kaum konkurrenzfähig. Zu hohe Temperaturen und zu viel Energie sind nötig. Mit einem neuen Katalysatorkonzept ist es Forscherinnen und Forschern der Technischen Universität München (TUM) jetzt gelungen, Temperatur und Energiebedarf eines wichtigen Schrittes im chemischen Prozess entscheidend zu senken. Der Trick: Die Reaktion findet auf engstem Raum, im Inneren von Zeolith-Kristallen statt.
Immer mehr Strom wird dezentral erzeugt – durch Windräder, Wasserkraft und Solaranlagen. „Da liegt es nahe, auch die Chemieproduktion zu dezentralisieren“, meint Prof. Johannes Lercher, der an der TU München den Lehrstuhl für Technische Chemie II leitet. „Theoretisch könnte jede Gemeinde ihren eigenen Sprit oder ihren eigenen Dünger herstellen.“
Bisher ist dies nicht möglich, weil chemische Prozesse viel Energie
benötigen – mehr als die regenerativen Energiequellen vor Ort liefern.
„Wir haben uns daher das Ziel gesetzt, durch neue Prozesse die
Voraussetzungen fĂĽr eine dezentrale chemische Produktion zu schaffen,
die durch alternative Energiequellen gespeist werden kann“, erklärt der
Chemiker, der in Personalunion Direktor des amerikanischen Institute for
Integrated Catalysis an Pacific Northwest National Laboratory ist.
Eine Grundlage fĂĽr die Wende in der chemischen Produktion hat sein
Team jetzt geschaffen: Im Labor konnten die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler zeigen, dass sich mit Hilfe von Zeolith-Kristallen in
wässriger Lösung die zur Spaltung von Kohlenstoff-Sauerstoff Bindungen
notwendige Temperatur drastisch senken lässt. Zeolith-Katalysatoren
beschleunigen den Prozess darĂĽber hinaus erheblich.
Die Natur als Vorbild
Bei der Entwicklung des neuen Verfahrens stand die Natur Pate: In
biologischen Systemen sorgen Enzyme, an deren Oberflächen sich kleine
Taschen befinden, dafĂĽr, dass chemische Prozesse schneller ablaufen.
„Wir haben uns überlegt, wie wir diese biologischen Funktionen auf die organische Chemie übertragen können“, erläutert Lercher. „Auf der Suche nach geeigneten Katalysatoren, die die Reaktion beschleunigen, sind wir auf die Zeolithe gestoßen: Kristalle mit kleinen Hohlräumen, in denen Reaktionen unter ähnlich beengten Verhältnissen ablaufen wie in den Taschen der Enzyme.“
Säure in die Enge getrieben
Doch steigert die Enge tatsächlich die Reaktivität? Um diese Frage zu
beantworten, verglich Lerchers Team im Labor die Reaktion von
Kohlenstoffverbindungen mit Säuren im Becherglas mit der in Zeolithen.
Ergebnis: In den engen Hohlräumen der Kristalle, wo reagierende
Moleküle, beispielsweise Alkohole, auf Hydronium-Ionen der Säuren
treffen, laufen Reaktionen bis zu hundert Mal schneller und bereits
knapp über 100°C mit hohen Raten ab.
„Unsere Experimente zeigen, dass die Zeolithe als Katalysatoren eine Wirkung entfalten, die vergleichbar ist mit der von Enzymen: Beide senken das Energieniveau, das für die Reaktionen notwendig ist ganz erheblich“, berichtet Lercher. „Die katalytische Wirkung wird dabei stärker, je kleiner die Hohlräume sind, in denen die Reaktionen stattfinden. Die besten Ergebnisse haben wir bei Durchmessern von weit unter einem Nanometer erzielt.“
Gecko, Wachs und Zeolithe
Doch warum macht Enge die Moleküle reaktionsfreudiger? „Die Kraft,
die den Reaktionspfad verbessert, ist dieselbe, die dafĂĽr sorgt, dass
Wachs an der Tischplatte klebt und Geckos an der Decke laufen können“,
antwortet Lercher. „Je mehr Kontaktpunkte es zwischen zwei Oberflächen
gibt, desto größer die Adhäsion. In unserm Experiment werden die
organischen Moleküle, die sich in wässriger Lösung befinden, von den
Poren der Zeolithe regelrecht angezogen.“
Im Inneren der Hohlräume haben die Hydronium-Ionen daher eine erheblich höhere Wahrscheinlichkeit auf einen Reaktionspartner zu treffen als außerhalb. Das Ergebnis ist eine sauer katalysierte chemische Reaktion, die schneller und mit weniger Energiezufuhr abläuft.
Aus MĂĽll wird Sprit
Durch den Kontakt mit den Hydronium-Ionen verlieren die organischen
MolekĂĽle Sauerstoff. Das Verfahren eignet sich daher gut, um Bio-Ă–l, das
aus organischen Abfällen gewonnen wird, in Treibstoff umzuwandeln.
Bis das neue Verfahren in der Praxis eingesetzt werden kann, wird
freilich noch einige Zeit vergehen. „Noch arbeiten wir an den
Grundlagen“, betont Lercher. „Mit denen wollen wir die Voraussetzung
schaffen fĂĽr eine neue, dezentrale Chemie, die keine groĂźtechnischen
Anlagen mehr benötigt.“
Die Arbeiten entstanden in einer Kooperation des Lehrstuhls fĂĽr
Technische II mit dem Zentralinstitut fĂĽr Katalyseforschung der TU
MĂĽnchen und dem Pacific Northwest National Laboratory (PNNL). Sie wurden
gefördert mit Mitteln des U.S. Department of Energy (DOE). Ein Teil der
NMR-Experimente wurde am Environmental Molecular Science Laboratory
(EMSL) des PNNL durchgefĂĽhrt, dessen National Energy Research Scientific
Computing Center (NERSC) auch Rechenzeit fĂĽr Simulationen zur VerfĂĽgung
stellte.
Publikationen:
Enhancing the catalytic activity of hydronium ions through constrained environments
Y. Liu, A. Vjunov, H. Shi, S. Eckstein, D. M. Camaioni, D. Mei, E. Barath, J. A. Lercher
Nat. Comm., 8, 14113 (2017) – DOI: 10.1038/ncomms14113
Tailoring nanoscopic confines to maximize catalytic activity of hydronium ions
H. Shi, S. Eckstein, A. Vjunov, D.M. Camaioni, J.A. Lercher
Nat. Comm., 8, 14113 (2017) – DOI: 10.1038/ncomms15442
Kontakt:
Prof. Dr. Johannes Lercher
Technische Universität München
Lehrstuhl fĂĽr Technische Chemie II
Lichtenbergstr. 4, 85746 Garching, Germany
Tel.: +49 89 289 13540 – E-Mail
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Pressemitteilung der Technische Universität München
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