Zement hat kurze Beine

Dieses Wochenende in den Hauptnachrichten konnte man es verfolgen. Der führende Mittelständler der deutschen Zementindustrie hatte mobilisiert. Samt Betriebsrat und Mitarbeiterschar tauchte er vor dem Bundeswirtschaftsministerium auf und protestierte. Sein Protest galt dem Emissionshandel. Seine Sorge war die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Standorte. Der Emissionshandel wurde aufgrund seiner Kostenbelastungen für die Schwenk-Zement-Gruppe als ökonomischer K.-O-Schlag dargestellt. ‚Schwenk kann die Kosten nicht tragen, die heimischen Arbeitsplätze sind daher in Gefahr’. Der Bundeswirtschaftsminister übernahm das Megaphon und vertrat seine Sicht der Dinge. Ende des Kurzberichts.

Diese Nachricht schoß als Eindruck an uns vorbei. Sie wird mit der Autorität der öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendung ausgestrahlt und sie verändert Stimmungen. Sie führt zumindest zu der Frage, ob die Umweltschützer, bei all der Bedeutung von Klimaschutz, doch nicht wieder etwas übertreiben, wenn jetzt sogar schon so nette Nachbarn wie die baden-württembergischen Mittelständler vor dem ‚Ausch’ stehen.
Es soll an dieser Stelle nicht darüber philosophiert werden, daß es die ökonomischen Instrumente (wie der Emissionshandel) waren, die die Wirtschaft seit Jahren als Ersatz für das zu drakonische Ordnungsrecht forderte. Es soll auch nicht über energiebedingte und prozeßbedingte CO2-Emissionen gesprochen werden, auch nicht über Selbstverpflichtungen der deutschen Wirtschaft und deren Wert. All dies wurde bereits in den Medien der letzten Tagen abgehandelt, unterlegt mit den jeweiligen bekannten Standpunkten.
Beeindruckend an diesem Fallbeispiel ist, daß es uns ein Trugbild zeigt. Die Schwenk-Unternehmen haben sich in den letzten Jahren groß in das Geschäft der Abfallmitverbrennung eingekauft. Die Anlagen besitzen Genehmigungen, nach denen sie ihren Energiebedarf weitgehend aus Ersatzbrennstoffen decken können. Nach den Regelungen, die das BMU in der Datenerhebung angewandt hat, ist der Anteil des regenerativen Kohlenstoffs im Ersatzbrennstoff mit dem Emissionsfaktor Null zu versehen. Dies ist dem Unternehmen und dem Wirtschaftsverband bekannt. Da die Zuteilung der Zertifikate auf der Basis der Jahre 2000 bis 2002 erfolgt, wird das Unternehmen daher in großem Umfang Zertifikate bekommen, die es am Markt verkaufen kann. Und diese Mengen werden so groß sein, daß es für das Unternehmen unbedeutend ist, ob der Erfüllungsfaktor für die Zuteilung 1 oder 0,93 oder dazwischen liegt. Denn bei der Nutzung von beispielsweise 60 Prozent der Feuerungswärmeleistung durch einen marktüblichen Ersatzbrennstoff aus Siedlungsabfällen dürften rund 20 bis 30 Prozent der zugeteilten Zertifikate ’übrisch’ sein. Dieser finanzielle Vorteil wird noch dadurch verstärkt, daß der Ersatzbrennstoff nicht, wie der Regelbrennstoff zu bezahlen ist, sondern dem Unternehmen Einnahmen einbringt: je Tonne abgenommenen Ersatzbrennstoff werden dies allein 60 bis 90 Euro an zusätzlichen Einnahmen sein. Im kommenden Jahr wird sich der Markt zudem verändern, weil im erheblichen Umfang Entsorgungskapazitäten für Ersatzbrennstoffe gesucht werden. Die Einnahmen werden also steigen.
Die eigentliche Frage lautet also, ob die Schwenk-Gruppe, die in den nächsten Jahren zu den großen Gewinnern zählen wird, durch den Emissionshandel nicht zu stark profitiert? Mit Sicherheit gibt es keine ökonomischen Probleme im Jahr 2005 und den darauf folgenden, zumindest nicht aufgrund von Emissionshandel und Abfallwirtschaft. Wir reiben uns die Augen, aber es war ja nur ein Kurzbericht. Und man muß auch Verständnis entwickeln für einen Mittelständler, der sich nicht immer um alle Details der verzwickten bürokratischen Regelungen kümmern kann.
Uwe Lahl ist Ministerialdirektor im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU)



Copyright: © Rhombos Verlag
Quelle: 01/2004 - Elektroverordnung (Dezember 2003)
Seiten: 1
Preis inkl. MwSt.: € 0,00
Autor: Prof. (apl.) Dr. Uwe Lahl

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